Digitale Work-Life-Balance

von Philipp Riederle

Digitales Arbeiten ermöglicht enorme Flexibilität und unzählige Vorteile. Aber: es erschwert das Abschalten, es droht die Gefahr der ständigen Erreichbarkeit und ein Ende im Burn-Out. Wie es gelingt, auch langfristig produktiv, motiviert und gesund bei der Arbeit zu bleiben: darüber geht es in dieser Ausgabe.

Inhalt der Folge

Wenn wir es schaffen, uns bei digitaler Arbeit in einem Deep Work Flow zu konzentrieren, sind die Ergebnisse in aller Regel positiv. Aber schaffen wir es nun noch, abzuschalten und die so wichtige Work-Life-Balance nicht zu vergessen?

Trennung von Arbeit und Freizeit

Für viele von uns hat sich das sogenannte Work-Life-Blending etabliert. Es werden keine klaren Grenzen mehr zwischen Arbeit und privater Zeit gezogen. Daher stehen wir ständig unter Strom und haben das Gefühl, 24/7 erreichbar sein zu müssen. Dieses Verhalten führt aber nicht immer zu zuverlässigen Ergebnissen, sondern kann effektive Arbeit sogar behindern. Werden Arbeit und Freizeit nicht getrennt, sinkt der Erholungswert in der Freizeit. Welche Folgen das haben kann, zeigen die hohen Burn-Out-Zahlen in der Generation Y.

Eine Studie der britischen Mental Health Foundation hat das „Millenial Burnout“ untersucht. Die Ergebnisse zeigten, dass sich in der digitalen Generation nur 7% von Stress überfordert fühlen, es aber dennoch sind. In älteren Generationen waren dies noch 30%.

Die Unternehmensberatung Boston Consulting Group hat ein Experiment mit den eigenen Mitarbeitern durchgeführt, um dem Problem des Work-Life-Blending und dem damit verbundenen Stress entgegenzuwirken. Die Mitarbeiter sollten an einem Abend der Woche nicht erreichbar sein und jede digitale Kommunikation abstellen. Dies hatte zur Folge, dass sich die Mitarbeiter zufriedener mit ihrem Arbeitgeber zeigten, eine bessere Work-Life-Balance aufwiesen und sich mehr mit ihrem Unternehmen identifizierten. Auch die Kommunikation zwischen den Mitarbeitern hatte sich verbessert und wurde offener. Inzwischen wurde die Regelung im Unternehmen international implementiert.

Was hat es mit der Work-Life-Balance auf sich?

Ziel ist es, durch die Balance zwischen Freizeit und Job während der Arbeit produktiver zu sein und so mehr Zeit für qualifizierte Freizeit zu haben. Eine, in der man sich auch wirklich entspannen kann.

Die Steigerung der Produktivität einerseits und der Erholung andererseits wird durch die klare Abgrenzung zwischen Freizeit und Job erreicht. Doch gerade das fällt vielen schwer. Die Digital Natives sind zwar mit dem digitalen Arbeiten vertraut, aber ihr Workflow wird oft durch digitale Ablenkung beeinträchtigt. Im Schnitt werfen wir alle 9 Minuten einen Blick auf unseren Handybildschirm. Diese Unterbrechung des Workflows behindert die Erfüllung komplexer Aufgaben, an denen man für eine längere Zeit unabgelenkt arbeiten muss. Nachrichten und Instant Messaging geben uns das trügerische Gefühl, besonders produktiv zu sein. Doch tatsächlich verbrauchen sie nur viel Zeit.

Laut einer Studie der University of California benötigt man nach jeder Ablenkung durchschnittlich 23 Minuten, um wieder wirklich in den Workflow einzutauchen.

Bei Kindern und Jugendlichen kann es durch Störfaktoren wie ständig eingehende Nachrichten sogar zur Beeinträchtigung der neurologischen Entwicklung kommen, wie eine Studie des Leibniz-Instituts nachweist.

Wie funktioniert die Work-Life-Balance?

Eine Frage, die sich vielen stellt: Wie kann ich diesen Ausgleich nun praktisch umsetzen? Wie einen Mittelweg zwischen den Extremen der absoluten Freiheit und völligen Kontrolle finden?

Wie lässt sich Produktivität und Konzentration fördern, ohne die Flexibilität und Mündigkeit der Mitarbeiter zu beschränken?

Hier ist es hilfreich, Kommunikations-Guidelines festzulegen:

  • Kommunikation: Es wird festgelegt, wie oft am Tag Mails und Chat-Tools gecheckt werden sollen. Auch sollte eine transparente Priorisierung von Kommunikation vorgenommen werden. Verabreden Sie, wie Sie Ausnahmefälle und Notfälle handhaben und einen Missbrauch der Notfälle vermeiden zu können. Bei jeder Kommunikation sollte die Priorität mitkommuniziert werden, sodass klar ist, ob eine Nachricht schnellstmöglich, in den nächsten Tagen oder aber gar nicht beantwortet werden soll.
  • Kanäle: Regeln Sie, auf welchen Kanälen man durchgehend informiert bleiben muss – und wo es nur wichtig ist, wenn man persönlich angesprochen wird.
  • Erreichbarkeit und Arbeitszeit: Um Work-Life-Blending und daraus folgende Burn-outs zu vermeiden, kommunizieren Sie klar, dass keine Dauerpräsenz erforderlich ist. Gerade die digitale Generation schätzt Zeit ohne Screen und Arbeitsverhältnisse mit einer klaren Work-Life-Harmony-Policy sehr und zieht sogar oftmals ein gesundes und erfüllendes Arbeitsleben einem besseren Gehalt vor.

Individuelle Anwendung und Techniken für die Work-Life-Balance  

Tagesstruktur und Pausen

Zwar ermöglicht die Digitalisierung, an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten zu arbeiten, dennoch ist eine gewisse Struktur sinnvoll, um abschalten zu können und sich besser zu konzentrieren. Es ist hilfreich, ein klares Zeitfenster und einen Raum für die Arbeit festzulegen. Das kann das Arbeitszimmer zu Hause sein, ein Coworking Space oder eben doch das Büro.

Legen Sie sich zu Beginn eine Tagesstruktur zurecht und berücksichtigen Sie darin auch Pausen, denn diese sind auch im Home Office wichtig. Wer dazu neigt, Pausen zu vergessen, sollte sie sich im Kalender eintragen. So sehen auch die Kollegen, dass Sie in diesem Zeitraum nicht erreichbar sind. Aber auch Sie selbst sollten diese Pausenzeiten ernst nehmen, den Bildschirm verlassen und keine Mails checken.

Pausen attraktiv gestalten 

Idealerweise sollte die Pause attraktiv gestaltet werden, was sie erholsamer macht und das Gehirn anregt. Eine Studie von Neurowissenschaftlern hat gezeigt, dass bei einer Pause im Büro nur sehr viel kleinere Teile des Gehirns aktiv sind als bei einem Spaziergang im Freien. Schöner Nebeneffekt: Das Verlassen des Büroraumes regt auch den Kreislauf an.

Einige Firmen unterstützen ihre Mitarbeiter mit Apps für Sport, Meditation oder Yoga und schenken ihnen Premium Accounts. Ein Experiment in einem britischen Gericht zeigte, dass Mitarbeiter, die täglich 10 Minuten lang die Meditationsapp Headspace nutzten, nach 6 Wochen ein um 27,5% niedrigeres Stresslevel aufwiesen.

Nudging

Sie können sich auch privat im Arbeitsalltag motivierend anstupsen (nudging), um das eigene Verhalten zu steuern. Beispielsweise können Sie klar zwischen privatem und beruflichem Handy unterscheiden. So kann das Business-Handy nach Feierabend einfach ausgeschaltet oder im Büro gelassen werden, während im Gegenzug das private Handy während der Arbeitszeit zu Hause gelassen oder weggelegt werden kann.

Digitale Feierabendroutine

New York Times-Bestsellerautor Daniel H. Pink plädiert außerdem für eine digitale Feierabendroutine: alle Browsertabs schließen, den Desktop aufräumen, den Fortschritt im Projektmanagement-Tool eintragen und den kommenden Tag planen. So fühlt sich der Arbeitstag abgeschlossen an und man kann motiviert in den neuen Tag starten.

Empfehlungen zur Umsetzung

Folgende Punkte können dabei helfen, über einen längeren Zeitraum gesund, produktiv und motiviert zu arbeiten.

  1. Sie können im Unternehmen die Aufmerksamkeit auf das Thema der digitalen Work-Life-Balance lenken und deren Wichtigkeit kommunizieren. Stellen Sie klar, dass man nicht durchgehend erreichbar sein muss. So können die Mitarbeiter geschützt und der Spaß an der Arbeit und die Produktivität gesteigert werden. Work-Life-Balance als Chef zu kommunizieren, bietet den Mitarbeitern Raum, darüber nachzudenken und zu kommunizieren, ohne an der eigenen Leistungsfähigkeit zu zweifeln oder sich schämen zu müssen.
  2. Sie können entsprechende Guidelines gemeinsam mit den Mitarbeitern und idealerweise Bottom-up erstellen.
  3. Die Funktion der Guidelines sollte regelmäßig überprüft und bei Mängeln angepasst werden, beispielsweise in dafür vorgesehenen Governance Meetings. Tipps und Erfahrungen sollten mit dem Team geteilt werden.